Auferstehung





AUFERSTEHUNG

Wenn ich glauben müsste, mein Gott,

dass du dir das ausgedacht hast, was uns gerade widerfährt,

wenn ich glauben müsste, dass es Absicht von dir ist uns so zu plagen,

wenn ich glauben müsste, es mache dir nichts aus,

Kinder in noch stärkerer Lebensgefahr zu wissen, weil sie gerade eine Chemotherapie durchmachen und von daher besonders anfällig sind für dieses Virus,

dass Alte, die die Last ihres Lebens tragen und davon gezeichnet sind, einsam ersticken, weil niemand zu ihnen darf und die Wenigen in ihrer Nähe hoffnungsvoll überfordert sind,

dass Völker an den Rand des Ruins geraten, weil ihre Wirtschaftskreisläufe zusammenbrechen und der Kampf gegen ein Virus alle Ressourcen verschlingt,

dann würde es schwierig für mich, dich Vater zu nennen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass du manchmal über uns lächelst, wie Väter halt lächeln, wenn Kinder in ihrem Spiel oder Wahn sich aufführen, als ob sie die seien, die alles am Laufen halten.

Ich kann mir auch gut vorstellen, dass du zornig bist über Leute, die alles daransetzen, schon die Erinnerung an dich aus der Welt zu schaffen und kein anderes Ziel haben, sei es aus Dummheit, aus Hochmut, aus Machtgier oder Gewinnstreben, sich als die Herren dieser Welt aufzuspielen. Ja, das kann ich mir gut vorstellen, dass du sehr zornig bist auf solches Denken und Tun.

Dabei sind wir doch alle Kinder und Geschöpfe.

Aber – willst du wirklich alle gleichermaßen plagen – auch die Kleinen und Schwachen und die, die es doch nur ein wenig schön haben wollen im Leben – so viele Milliarden Menschen?

Wenn ich nicht glauben könnte, dass du anders bist, ich könnte wohl nicht glauben.

Ich sehe doch, wie dein Christus blutet! Ich lese doch, wie er ringt – unter Tränen und Schweiß. Und ich nehme wahr, wie er – Jesus, der Menschensohn – eine unendliche Verlassenheit erfährt. Und ich soll glauben, dass dich das in keiner Weise berührt? Dann hätten doch die recht, die sich Holz und Stein nehmen und Bilder und Statuen daraus machen. Die fühlen nichts, die sehen nichts, die hören auch nichts. Aber so bist du nicht!

In Christus hast du am Kreuz gelitten, in Christus bist du, mein Gott, gestorben - in Christus war die Welt für eine kurze Zeit Gott los. Aber nur bis zum Ostermorgen. Seitdem fühlt sich kein Leiden weniger schmerzlich an, aber es hat alles einen Sinn bekommen. Teilzuhaben am Leiden – wo auch immer und wie auch immer – auch das verbindet uns mit dir, Gott.

Wenn du, Gott, da bist wo Menschen leiden, dann dürfen Menschen glauben, dass sie da sein werden, wo Gott lebt. Dann dürfen wir glauben, dass es weitergeht – das Leben – immer weiter, für immer und ewig.

Harald Gäbel 04/2020